Mit Attacken auf Bürgergeldempfänger als vermeintliche Arbeitsverweigerer versuchen sich Politiker wie Christian Lindner zu profilieren. Aber die Rechnung geht nicht auf.

Im Juni vergangenen Jahres waren 24.684 Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger von einer Kürzung ihrer Leistungen betroffen. Sie haben vielleicht einen Gesprächstermin bei der Arbeitsagentur versäumt oder ein Formblatt nicht rechtzeitig eingereicht. Oder alle Jobangebote abgelehnt und wollen einfach nicht arbeiten. Auch das kommt vor. Diese “Totalverweigerer” sind nun auf eine eigentümliche Weise ins Zentrum der politischen Debatte gerückt, und man weiß nicht so richtig, was sie da eigentlich sollen.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat am Montag den wütenden Bauern und Bäuerinnen vor dem Brandenburger Tor entgegengerufen, es ärgere ihn, dass “Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun” und beim “fleißigen Mittelstand” gekürzt werde. Und Jens Spahn (CDU) will wegen ein paar Tausend Leuten (genaue Zahlen gibt es nicht) das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ändern, damit den Betroffenen alle Leistungen gestrichen werden können. Dasselbe Grundgesetz, das von der Führung der Union wie eine heilige Schrift behandelt wird, wenn es um eine Reform der Schuldenbremse geht, die inzwischen sogar konservative Experten fordern.

[…]

Aber in dieser Debatte geht es vermutlich ohnehin nicht um Sachpolitik. Sondern darum, jemandem die Schuld für den miserablen Zustand geben zu können, in dem das Land nach 16 Jahren Union und zwei Jahren Ampel ist. Und anders als die Bauern besitzen die Armen keine Traktoren, mit denen sie die Hauptstadt lahmlegen könnten. So nährt der Druck auf die vermeintlichen Arbeitsverweigerer eine Entlastungsfantasie: Niemand muss verzichten, wenn nur beim Bürgergeld strenger zugepackt würde. Aber das ist sicher: Diese Rechnung geht nicht auf.

  • 0x815@feddit.de
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    9 months ago

    Wenn ich das richtig gelesen habe, dann belasten die Ausgaben für das Bürgergeld den deutschen Bundeshaushalt 2024 mit knapp unter 40 Mrd. Euro. Bei einem Gesamtbudget von ~1.300 Mrd. ist das nicht gerade der Punkt, wo man viel sparen kann, vom gesamtwirtschaftlichen und demokratiepolitischen Schaden, den eine Kürzung hier haben würde, mal ganz abgesehen.

    Es ist aber vor allem deutlich weniger als die 60 Mrd. Euro, die dem Bund jetzt wegen des verfassungswidrigen Haushalts fehlen (wer ist dafür jetzt eigentlich verantwortlich? Ich kann mich gerade nicht erinnern.)

    Ich habe auch noch eine Frage zum deutschen Budget, die nicht direkt mit diesem Thema zu tun:

    Warum sind die Ausgaben für die Allgemeine Finanzverwaltung von 17 Mrd. in 2017 auf 143 Mrd. in 2021 gestiegen (und fallen dann wieder auf 42 Mrd. in 2023)?

    Weiss das jemand? Sind das die Corona-Hilfen? Ich konnte auf die Schnelle keine Erklärung finden. Danke im Voraus.

    • Killing_Spark@feddit.de
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      9 months ago

      Und die Kosten für die echten verweigerer sind nochmal Größenordnung kleiner als diese 40 Mrd.

      Anderer Posten im Haushalt übrigens: 120 Mrd. Zuschuss zur Rentenkasse

      • yetAnotherUser@feddit.de
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        9 months ago

        Nicht, wenn auch bei Nicht-Verweigerern das Bürgergeld gekürzt wird…

        Die CXU ist doch schon längst auf den “Das Bürgergeld ist viel zu hoch!!!1!”-Zug aufgesprungen.