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    9 months ago

    Denken vor dem Reden könnte helfen: Show-Philosoph Richard David Precht verplappert sich antisemitisch. Lanz findet das „richtig“ – und das ZDF liefert eine Entschuldigung, die keine ist.

    Welchen Beruf hat Richard David Precht? Schwer zu sagen, denn er besteht aus nichts als Meinungen, Meinungen zu allem Möglichen. Was immer ihm durch den Kopf gegangen ist, und sei es erst Minuten her, spricht er selbstgewiss aus. Das hat ihm, Verfall der Begriffe, den Ruf eines Philosophen eingetragen. Tatsächlich personifiziert Precht aber den Small Talk, der unter dem Titel „Öffentlichkeit“ beansprucht, auch ein Big Talk und also von Gewicht zu sein. So unterhält er sein Publikum.

    Bildung, Corona, Ukraine, Medien, Israel – es gibt kein Gebiet, auf dem Precht nicht mit scharfen, obgleich kenntnisarmen Meinungen hervortritt. Corona nichts anderes als Grippe, Trump wird 2020 wiedergewählt, Moskau steht binnen vier Tagen in Kiew. Man gewinnt nicht den Eindruck der Nachdenklichkeit. Vielleicht sind es einfach zu viele Meinungen.

    „Richtig“ und „genau“ meint Lanz

    Zuletzt wusste Precht nicht einmal mehr, was in seinen eigenen Büchern steht. Gar nicht so selten unterhält er darum mit Unwahrheiten. Oft nicht absichtlich, sondern fahrlässig, weil sie ihm in seinem von Meinungsselbstherrlichkeit gestützten Geplapper einfach über die Lippen kommen. So hat er gerade in einem Podcast mit Markus Lanz behauptet, den orthodoxen Juden sei die Berufsarbeit durch ihre Religion verboten, „ein paar Sachen wie Diamantenhandel und Finanzgeschäfte ausgenommen“.

    „Richtig“ und „genau“ fand das Lanz. Eingebettet war der falsche und bis zum Antisemitismus ungenaue Satz in Behauptungen wie die, es widerspreche der Gottesidee, wenn Gott den Orthodoxen ein den ganzen Tag religiösen Übungen gewidmetes Leben abverlange. Den ganzen Tag, so Lanz, seien sie schwitzend nur mit Beten – das Lanz offenkundig nicht vom Studium religiöser Texte unterscheiden kann – beschäftigt. „Es kann doch kein lieber Gott sein, der von morgens bis abends verherrlicht werden will.“ (Precht) „Der diesen Stress macht“ (Lanz). Von katholischen und buddhistischen Klöstern oder von Sufis haben die Kritiker der Religion als Stress offenbar noch nie gehört.

    Nun arbeitet die Hälfte der Ultra­orthodoxen in Israel, ihre Frauen arbeiten alle. Das religiöse Gebot verbietet nur solche Arbeit, die nicht der Gemeinschaft dient und vom Studium abhält. Arbeit muss gerechtfertigt werden. Selbstverständlich gibt es darum ultraorthodoxe Bäckereien, Schneider, Informatiker. Die Ultraorthodoxen leben oft in Armut, der Wohlfahrtsstaat hat sie in die merkwürdige Situation gebracht, dass gerade Sozialhilfe des Staates, den sie ablehnen, es ihnen ermöglicht, sich noch mehr ihren Studien zu widmen.

    Darauf kann man kommen, indem man liest, bevor man redet. Auch einfaches Nachdenken hätte den Schwätzer disziplinieren können. Soll in der Thora etwa stehen: „Der Herr aber sprach: Die Arbeit sei verflucht, außer die an der Börse und in Antwerpen, denn mit Diamanten zu handeln ist gottwohlgefälliges Tun?“ Precht lädt die Folgen der mittelalterlichen Berufsverbote für Juden, die sie in den Handel zwangen, weil ihnen der Zugang zum Handwerk versagt wurde, auf den Juden ab. Und selbst das sinnwidrig, indem er sie mit der Frage der Orthodoxie vermischt. Die meisten Juden, orthodox oder liberal, waren weder Diamantenhändler noch arbeitslos.

    Nicht verkürzt, sondern Unfug

    Richard David Precht hat mithin einfach so vor sich hingeredet, und es ist ein antisemitisches Stereotyp dabei herausgekommen: je jüdischer, desto Kredithai. Das ist nicht unbemerkt geblieben. Also rudern das ZDF und seine Podcaster zurück. Aus dem Gespräch wird der schmähliche Satz herausgeschnitten. Er sei nicht so gemeint gewesen, beteuert Precht. Wie dann? Wie viel Geschwätz ist zumutbar, wenn es angeblich um Gedanken und Information geht?

    Das ZDF bedauert, „dass eine Passage . . . Kritik ausgelöst hat“. So geht das Gerede weiter. Denn nicht die Kritik ist zu bedauern, sondern das öffentlich-rechtlich unterstützte Schwafeln ist es, das, wenn ihm eine antisemitische Phrase entschlüpft, nur „Sorry“ sagt. Komplexe Zusammenhänge, meint der Sender, seien verkürzt dargestellt worden. So kann man sich auch um den Befund drücken, dass Precht kompletten Unfug erzählt hat.

    Den Mut, sich von seinem Chefschwätzer zu distanzieren, findet der Sender nicht. Die Frage, wozu er Zigtausende für ihn ausgibt, während angeblich überall gespart werden muss, kommt nicht auf. In Israel ist Krieg, aber Herr Precht schwadroniert. Der Antisemitismus, so dürfen wir einen Satz von Adorno variieren, ist das Geschwätz über die Juden.

    Quelle: F.A.Z.