Tl;dr: Hier mal ein Beispiel, wie aktiv Stimmung gegen die Bundeswehr und das Beschaffungsamt gemacht wird
Einige haben es vielleicht schon an meinem Namen erraten: Ich habe in der Beschaffung für die Bundeswehr zu tun.
Deshalb betrifft mich die “Zeitenwende” persönlich ein wenig und ich weiß einigermaßen gut Bescheid, was so alles passiert. Mein Fazit ist da: Es passiert verdammt viel, es wird hervorragende Arbeit geleistet und auch unter Christine Lambrecht lief es schon wirklich gut. Wenn etwas länger dauert, dann aus den gleichen Gründen wie bei allen anderen Armeen auch: Militärische Beschaffung ist echt kompliziert. Naja, außer man verstaatlicht seine ganzen Rüstungsbetriebe und hat eine extrem korrupte Regierung, so wie Polen. Dann geht einiges schneller, aber nicht besser.
Aber wenn man mal so die Schlagzeilen liest, dann klingt das gar nicht so. Alles dauert immer länger, wird immer teurer, das Beschaffungsamt ist eh viel zu groß und gehört verkleinert bla bla. Und natürlich ist das nur bei der Bundeswehr so, bei niemandem sonst.
Ein Freund von mir hat mich da auf ein gutes Beispiel aufmerksam gemacht, dass ich euch gerne präsentieren würde:
Die Schlageile von Golem.de:
Das für die Bundeswehr neu bestellte Funkgerät PNR-1000 bringt wohl nur 1 MBit/s.
Da sagt die Überschrift ja gleich alles aus: Das neue Funkgerät: “Schlecht”. “Nur 1MBit/s”.
Und weil ja niemand wirklich weiß, ob das jetzt irgendwie schnell oder langsam ist, wird im Artikel ein Vergleich gebracht:
Die U.S. Army hatte im Jahr 2021 L3Harris mit der Herstellung und Lieferung von 1.000 neuen taktischen Funkgeräten des Typs Falcon IV AN/PRC-171 Compact Team Radio beauftragt. Die Datenübertragungsrate beträgt bis zu 16 MBit/s.
16MBit/s kriegt die US Army! Aber die inkompetente Bundeswehr kriegt von ihrem inkompetenten Beschaffungsamt 16 mal langsamere Funkgeräte!
Was der Artikel überhaupt nicht erwähnt ist, dass diese Funkgeräte beide völlig unterschiedliche Einsatzzwecke haben. Das hätte bei der niedrigen Stückzahl von 1.000 Funkgeräten für die US Army auffallen können.
Das AN/PRC-171 ist nämlich ein Satellitenfunkgerät, ganzes Stück größer und wird eher so für Kommandoposten oder große Reichweiten benutzt. Die Funkgeräte PNR-1000 für die Bundeswehr sollen aber von den einzelnen Soldat*Innen im Gefecht zur Kommunikation benutzt werden. Da werden keine hochsensiblen, riesigen Datensätze verschickt und das alles findet in einem relativ kleinen Bereich statt.
Deshalb nutzt und kauft die Bundeswehr das AN/PRC-171 schon seit Jahren und hat eben wieder 900 Stück neu gekauft.
Bundestag billigt Haushaltsmittel für zusätzliche PRC-117-Funkgeräte
Am Mittwoch, den 28. Oktober, hat der Deutsche Bundestag die 25-Millionen-Euro-Vorlage „Ergänzungsbeschaffung von Funkgeräten PRC-117G einschließlich Equipment“ gebilligt. Insgesamt sollen für ca. 91 Millionen Euro über 900 Funkgeräte samt Equipment beschafft werden.
Das PNR-1000, von denen die Bundeswehr 15.227 Stück erhalten wird, wird übrigens auch gerade von den Niederlanden, Schweden, Spanien und der Schweiz eingeführt.
Bei denen schreibt aber keiner Artikel, dass die “nur” 1MBit/s liefern.
In Deutschland wird die Ausstattung der Bundeswehr konsequent klein geredet und lächerlich gemacht. Und obwohl es echte Probleme gibt, sind die keinesfalls einzigartig für die Bundeswehr - andere Armeen haben mit genau denselben Dingen zu kämpfen. Insgesamt ist die Bundeswehr praktisch so gut ausgestattet wie die französische oder britische Armee - und auch bei deren Beschaffungsämtern dauert es oft länger und wird teurer.
Deshalb: Bei der nächsten Schlagzeile, wie dysfunktional die Bundeswehr, das Beschaffungsamt und die Ausstattung ist, einfach ruhig bleiben und sich sagen: Jede Verzögerung oder Preissteigerung hat ihren guten Grund. Weil militärische Beschaffung leider echt kompliziert ist.
Spannender Beitrag, danke!
Kostet ein Gerät samt Equipment dann wirklich um die 100.000€? Ist das durch die Features gerechtfertigt oder gibt es keinen anderen Anbieter?
Kostet ein Gerät samt Equipment dann wirklich um die 100.000€? Ist das durch die Features gerechtfertigt
Ohh ja, das PRC-117 kostet tatsächlich so viel und ja, das ist wirklich gerechtfertigt.
Da kommt dann noch ein Haufen Zusatzmaterial mit dazu, wie Satellitenantennen, Tragerucksäcke und Taschen, Koffer und Kabel, Standfüße, Sprechstücke und Hörer, Adapter und Anschlüsse, Strom- und Spannungswandler, Schock-absorbierende Montageboxen für Fahrzeuge und Batterien. Und das alles muss ja extra robust sein, bei Wind und Wetter funktionieren, gegen elektromagnetische Störsender abgeschirmt sein, die verbauten Chips müssen extra besondere militärische Robustheitsstandards erfüllen etc. Und dann kommen nochmal Langzeit-Wartungsverträge mit dazu, damit die Bundeswehr auch nicht alles selbst reparieren muss wenn was kaputt geht.
Das ist ein riesiger Rattenschwanz an Zubehör, welches noch dazukommen muss, damit die Bundeswehr die Teile auch in den jeweiligen Einheiten und Posten ausreichend benutzen kann.
gibt es keinen anderen Anbieter?
Es gibt andere Anbieter für ähnlich leistungsfähige Funkgeräte mit ähnlichen Features. Die sind dann aber meistens ebenfalls ähnlich teuer oder nur geringfügig günstiger wenn man alles zusammenrechnet. Dazu hat das AN/PRC-171 noch den großen Vorteil, dass es von sehr vielen NATO Armeen bereits benutzt wird. Neben der US Navy, den Marines, der Army und US Air Force wird es auch von der britischen Royal Air Force und Army, der niederländischen Armee, der spanischen Luftwaffe und den norwegischen, dänischen, kroatischen und kanadischen Armeen benutzt.
Es gäbe noch das PR4G von Thales und Radios von Kongsberg. Ich weiß jetzt nicht mehr genau warum die nicht beschafft wurden, aber ich meine mich zu erinnern, dass es Kombinationen waren aus Gesamtpreis mit Zubehör zu hoch, Gewicht zu groß oder Batterielaufzeit nicht ganz so lange. Technisch wären die aber auch in Ordnung gewesen. Ich glaub die Spanier benutzen sogar beides nebeneinander, PRC-171 und PR4G.
Probleme gibt es sicherlich, die hat aber “Procurement” in den meisten Konzernen auch.
Spannend finde ich immer “Dringliche Beschaffung” oder ähnliches. Da braucht man nur 1 oder 2 Teile von irgendwas kann aber wegen der Prozesse nicht einen neuen Lieferanten anlegen.
Man kann z.B. nicht einfach eine Festplatte über Amazon bestellen.
Also hat man einen Lieferanten für “alles mögliche” der dann auf Basis der Bestellung der Bundeswehr bei Amazon bestellt.
Für den Service werden dann 30% auf den Preis aufgeschlagen. Super Geschäft wenn man da mal drin ist…
Das ist zwar ärgerlich aber genau das gleiche Zeug gibt es bei großen Konzernen wo eine Festplatte (oder ähnliches) über den zentralen IT Katalog bestellt werden muss zum doppelten Preis weil man nicht eben Mal zu MediaMarkt gehen darf.
Man kann z.B. nicht einfach eine Festplatte über Amazon bestellen.
Also das wäre bei mir eh zwecklos, ich hab hier nur eine Workstation mit einer virtuellen Festplatte auf dem Server :p
Wenn es solche Sachen gibt (also bei mir in meinem Bereich definitiv nicht), dann ist das wahrscheinlich ironischerweise eine Folge von Anti-Korruptionsmaßnehmen. So wird verhindert, das einzelne Personen öffentliche Mittel benutzen können, um Dinge zu kaufen, zu entwenden, und es kaum nachzuverfolgen ist.
“Ich will nur ne Festplatte kaufen” - “Ja hier sind 300€ für ne 20TB Festplatte” und dann wird nur ne 1TB Festplatte für 50€ gekauft und die restlichen 250€ eingesteckt.
Mit dem System “Lieferant, Zettel, Unterschrift vom Vorgesetzten, Verwendungszweck” etc wird das halt ein ganzes Stück schwieriger.
Ist jetzt nur ein ganz simples Beispiel, aber so wird wenigstens (auch fürs Finanzamt und Staatsanwaltschaft) sehr gut nachverfolgbar protokolliert, welches Geld von wem für was wann ausgegeben wurde. Dafür ist mir die klein wenig Geldverschwendung das dann schon wert.
Die Festplatte war jetzt ein Beispiel das ich persönlich im Konzern gesehen habe.
Bei der Bundeswehr ist die Alternative z.B. wir brauchen 100m Absperrband (oder was auch immer - alles was nicht im Standardprogramm vorgesehen ist aber auf dem Markt frei verfügbar ist). Jetzt könnte einer in den Baumarkt gehen, kaufen und einreichen. Aber die Beschaffungsrichtlinien erfordern dann das man zu einem der angelegten Lieferanten geht, sich ein Angebot geben lässt und der schickt einen in den Baumarkt und berechnet dann 50€ für eine Rolle Absperrband…
Vor 15 Jahren gab es für so Kleinkram die “dezentrale Beschaffung” wo Bürokram und sonstiges was keine Mat-Nummer hatte bestellt wurde. Gibt es das nicht mehr?
Ohhhh, um die dezentrale Beschaffung geht es hier. Ich hab mich schon echt gewundert, das klang alles so merkwürdig.
Yeah die gibt’s noch. Ich glaub so bis 5000€ kann dezentral beschafft werden. Soll glaub ich mit den neuen, lockeren Beschaffungsregeln auch erhöht werden.
deleted by creator
Die Medien muss man bei Berichterstattung über Verteidigungsthemen leider nach wie vor mit einer LKW-Ladung Salz nehmen. Es gibt zwar manche Journalisten und Blogs, die sich auskennen, aber im allgemeinen ist das Drehbuch immer da gleiche. Irgendein vermeintlicher Skandal wird groß aufgebaut, “seht her, wie inkompetent die Bundeswehr / das Verteidigungsministerin ist” und vielleicht kommt irgendwann später kleinlaut eine Richtigstellung. Das beste Beispiel war der "Skandal " um das G36 seinerzeit.
Das ist leider bei vielen Themen so, bei denen es tiefer in die Materie geht. Ich habe Physik studiert, in populärwissenschaftlichen Magazinen geht es meist noch, aber die Science-Artikel von den gängigen Tageszeitungen sind oft mit haufenweise Ungenauigkeiten und teilweise auch falschen Fakten gespickt. Die lassen sich auch nicht immer auf die nötige Vereinfachung zurückführen.
Ich persönlich fand die Puma Märchenstunde nach dem Motto “Guckt euch die Idioten an und wie ihre neuen Spielzeuge beim der ersten auch nur halbwegs enrsthaften Benutzung sofort kaputt gehen. Die waren sicher seit Jahren nur unbenutzre Deko, um so zu tun als würden sie wirklich funktionieren” viel amüsanter…
Vielen Dank für die Einblicke. Es ist schon faszinierend, wie man bei vielen vermeintlichen Skandalen bei der Beschaffung von Rüstungsgütern nur ein wenig tiefer gehen muss, um zu kapieren, dass es gar keinen Skandal gibt.
Ein anderes gutes Beispiel sind wahrscheinlich die Statistiken zur Einsatzfähigkeit. Es gab da beispielsweise mal einen grißen Aufschrei, dass ein großteil aller Eurofighter nicht einsatzfähig seien. Der Kontext war eine Momentaufnahme, nachdem ein nahezu in jedem Modell verbautes Bauteil zurückgerufen werden musste. Bedenkt man den Aufwand, ging das ganze Prozedere recht schnell vonstatten und im Ernstfall hätten die offiziell nicht einsatzfähigen Flugzeuge natürlich dennoch aufsteigen können, aber das wurde irgendwie nicht ganz so prominient verbreitet.
Dabei gibt es natürlich durchaus ernsthafte Probleme bei der Bewchaffung und der Bundeswehr im Allgemeinen. Diese sind jedoch weder Bundeswehr spezifisch sondern recht verbreitet, noch so schlagzeilentauglich wie manch herbeigeredeter Skandal.
Mal aus Interesse. Wie siehst du als Interner die Wartungsverträge der Bundeswehr mit den Herstellern. Hat die Bundeswehr dabei wichtige Kompetenzen aus der Hand gegeben oder wäre sie im Ernstfall in der Lage Mängel im Einsatz auch selbst zu beheben, ohne (und ich bediene mich hier bewusst des Bildes, was einige Medien zu dem Thema geschaffen haben) dass der ADAC aufs Schlachtfeld muss.
Wie siehst du als Interner die Wartungsverträge der Bundeswehr mit den Herstellern. Hat die Bundeswehr dabei wichtige Kompetenzen aus der Hand gegeben oder wäre sie im Ernstfall in der Lage Mängel im Einsatz auch selbst zu beheben, ohne (und ich bediene mich hier bewusst des Bildes, was einige Medien zu dem Thema geschaffen haben) dass der ADAC aufs Schlachtfeld muss.
An der Stelle: Ich bin nur ein kleines Rädchen in einer Behörde, es gibt sehr vieles, von dem ich nur rudimentäre Ahnung habe. Betrachtet meine Aussagen also mit Vorsicht.
Ich glaube, dass die Heeresinstandsetzungslogistik GmbH absolut qualifiziert ist, im Ernstfall alle Fahrzeuge der Bundeswehr zu warten, zu reparieren und was sonst noch. Das Problem ist allerdings:
- Es ist ne GmbH. Die Heeresinstandsetzungslogistik wurde ausgegliedert und privatisiert, damit die Beschäftigten nicht nach den Tarifen des öffentlichen Dienstes bezahlt oder verbeamtet werden müssen. Kurz gesagt: Die Beschäftigten kriegen weniger bezahlt als sie sollten. Das finde ich eine Schweinerei und ich hätte gerne, dass das rückgängig gemacht wird. Die Leute verdienen ihr gerechte Entlohnung und Behandlung.
- Die meisten Sachen dürfen sie nicht selbst beheben weil die Industrie auf lukrativen, langjährigen Wartungsverträgen besteht, die genau regeln, das die HIL selbst instand setzen darf und was nicht. Das ist kein neues Problem, das hat der damalige Wehrbeauftrage Bartels 2018 auch angesprochen. Die Industrie sorgt dafür, dass die HIL gewisse Spezialwerkzeuge oder technische Informationen erst gar nicht bekommt, damit man dann schön oft bei KMW und Rheinmetall vorbeikommen muss, und ordentlich Geld abdrücken muss.
Klar, bei manchen Sachen kommt man um Wartungsverträge nicht herum es gibt oft Dinge, die wirklich nur der Hersteller kann. Aber beim Puma ist das leider ein Geschäftsmodell.
Yeah also meine Meinung…HIL wieder zu ner Behörde machen und der Rüstungsindustrie mal schön in den Hintern treten, was die sich mit diesen Wartungsverträgen eigentlich einfallen lassen.
Vielen Dank für deine schnelle Antwort. Das ist sehr nah an meinem Eindruck von der ganzen Sache dran.
Kannst du uns ein Beispiel nennen um “es ist kompliziert” zu illustrieren?
Ist das was anderes als wenn die Post elektrische Kleinlaster erst einkaufen will und dann doch selbst baut, und das dann aufgibt?
Okay, das wird jetzt leider ein ziemlich langer Kommentar. Tl;dr: Hauptsächlich Dummheit von Politikern und Gier von Unternehmen.
Ist das was anderes als wenn die Post elektrische Kleinlaster erst einkaufen will und dann doch selbst baut, und das dann aufgibt?
Das sogar ein ziemlich gutes Beispiel, nur dass die Bundeswehr meistens gar nicht selber bauen darf/soll und wenn, dann kriegt sie oft zu wenig Geld dafür.
Die häufigsten “komplizierten” Sachen sind für jeden nachvollziehbar und verständlich: die Technik ist noch nicht weit genug. Manchmal muss ein notwendig, aber entsprechend festes Material halt erst entwickelt werden, oder die heutigen Sensoren sind noch nicht präzise genug und müssen genauer werden. Sowas braucht halt einfach Zeit und Geld um entwickelt zu werden. Das verzeiht jeder.
Etwas mehr Unverständnis kriegt man dann bei der Bürokratie zu sehen: Alles wird auf Papier gemacht, muss haargenau geregelt sein, Anträge und Formulare für alles. Das ist aber auch sehr leicht nachzuvollziehen, wenn man sich da reinarbeitet: Deutschland ist Teilnehmer an ganz vielen Rüstungskontrollabkommen und -Gesetzen. Und da wird dann eigentlich immer alles in Ausfertigung auf Papier verlangt. Der Grund dafür ist leicht: Einen Aktenschrank tief im Keller von irgend ner Behörde kann man nicht so leicht hacken, stehlen, löschen oder manipulieren. Solange nicht alle Archive niedergebrannt werden, kann man jederzeit alles nachverfolgen.
Anträge und Formulare sind dann da auch ein großer Teil davon, damit der Prozess und die Finanzierungen und Beteiligungen auch ordentlich dokumentiert werden. Und die ganzen Regelungen: Ja, das ist halt notwendig weil eine ganze Menge Gesetze eingehalten werden müssen (Umweltschutz ist da z.B. ein häufiges Thema), aber auch, weil private Rüstungsfirmen super schnell klagen wenn irgendwas nicht rechtlich einwandfrei ablief und sie die Chance sehen, dass sie ihre Produkte doch noch irgendwie in die Beschaffung reinzwingen können.
Die allerdings wirklich größten und einflussreichsten Dinge, welche militärische Beschaffung kompliziert machen, sind: Menschliche Dummheit und Gier. Für die Dummheit sei hier Thomas de Maiziere genannt. Der hat in seiner unendlichen Weisheit 2011 verfügt, dass das Beschaffungsamt für die Bundeswehr erst Ersatzteile bestellen darf, wenn sie notwendig sind. Vorratslagerung wurde untersagt. Aber dann kamen natürlich 7 Jahre später lauter Artikel, dass die Bundeswehr keine Ersatzteile mehr hat und ewig warten müsse, dass deshalb ein Großteil des Geräts nicht einsatzbereit sei. Der de Maiziere hat noch so einen ähnlichen Blödsinn gemacht: Er hat der Bundeswehr befohlen, schweres Gerät (wie z.B. Panzer) mehrmals (also mit mehreren Crews) zu benutzen. Die Einheiten sollten die Fahrzeuge untereinander tauschen, so dass mit 70% des Equipment trotzdem die ganze Truppe Fahrzeuge hätte. Dass dann der Verschleiß explodiert, damit hätte ja keiner rechnen können. (An der Stelle merkt ihr vielleicht: Ich mag konservative Verteidigungsminsiter*Innen oft echt nicht. Die machen wirklich ständig so nen Scheiß, und man kann sie auch nicht umstimmen wenn die sich das einmal in den Kopf gesetzt haben. Man kann’s kaum glauben, aber in der Beziehung war die Flinten-Uschi gar nicht soooo schlecht.)
So viel zur Dummheit. Kommen wir zu Gier: Meine beiden gern genannten Beispiele sind a) der Fallschirmspringerhelm und b) der Puma Schützenpanzer. Und keine Sorge, Dummheit von Verteidigungs-Politiker*Innen ist da auch wieder dabei,
Ermstal der Helm: “Modernisierungsbremse Beschaffungsamt?” titelt da die DW, und zitiert die Wehrbeauftragte Eva Högl:
Die Fallschirmjäger beispielsweise warteten seit zehn Jahren auf einen neuen Helm, sagte die “Anwältin” der Parlamentsarmee der “tageszeitung”. Es hake daran, dass der Helm, der in den USA im Gebrauch ist, “erst nochmal ganz umfänglich getestet wird, ob er auch auf die deutschen Köpfe passt und wirklich so schützt, wie man das nach deutschen Standards erwartet”, klagte Högl.
Und Frau Högl sagt hier auch wieder das für mich wohl nervendste Wort: “Goldrandlösung” Ja also das kann ja nicht sein! Wenn andere NATO Partner den Helm benutzen, dann wird der doch auch für deutsche Fallschirmspringer in Ordnung sein?
Well, no. Eben nicht. In Wirklichkeit hat der Hersteller einfach mal eben entschieden, ein Teil des Verschlusssystems der Helme nicht mehr aus Metall, sondern aus Kunststoff zu fertigen. Ist halt billiger und man macht so ja mehr Gewinn, nicht wahr? Kunststoff im Verschlusssystem mag ja vielleicht für die USA so in Ordnung sein, aber bei den Tests des Beschaffungsamtes zeigte sich: Die Kunststoffverschlüsse wurden bei niedrigen Temperaturen und starken Belastungen brüchig oder haben sich geöffnet. Das ist nicht akzeptabel für Fallschirmspringer*Innen, bei denen das häufig vorkommt - die knapp 4.400 der Bundeswehr machen 6-8 Sprünge pro Jahr, das sind 26.400 Stück. Wenn da nur jedes zehntausendste Riemenstück kaputt geht, hast du 2-3 Fälle - und evtl. Tote - pro Jahr.
Da sollte jedes Beschaffungsamt die Bremse ziehen und sagen “Halt, die Sicherheit der Soldat*Innen geht vor”. Einen Verschluss selbst herstellen, das darf die Bundeswehr nicht, das würde ja die private Wirtschaft vernachlässigen. Also muss erstmal eine Ausschreibung für einen Kinnriemen-Verschluss gemacht werden und mit dem Gewinner dann das Teil produziert und getestet werden. Und das dauert.
Das zweite: Der Schützenpanzer Puma. Der Pannenpanzer. Gibt viel zu oft Probleme damit, obwohl der bereits seit 10 Jahren in der Truppe ist. Das kann doch nicht sein, der muss von Tag 1 an richtig funktionieren!
…ja, sollte er eigentlich. Aber nicht wenn sich ein konservativer Verteidigungsminister in den Kopf setzt, das Ding zu bestellen bevor es überhaupt nen funktionierenden Prototypen davon gibt. So geschehen 2009. Das Fahrzeug wurde in die Truppe eingeführt, als es eigentlich erst im Prototyp-Status war, und musste dann praktisch während der Truppennutzung weiterentwickelt werden, auf den Stand, des es eigentlich haben sollte bei Auslieferung. Und sowas kann gerne mal 10 Jahre dauern - Der Leopard 2 hat 6 Jahre vom Prototyp zur ersten Serie gebraucht.
An der Stelle könnte man ja fragen, wie es KMW und Rheinmetall geschafft haben, den Verteidigungsminister sowie den größten der Teil damaligen BuReg zu überzeugen, dass der Puma super toll ist und angeschafft worden sollte, sodass es dann ne Mehrheit im Parlament dafür gab. Ich hab ja die Vermutung, dass das so ähnlich ablief wie beim (im Artikel erwähnten) HS-30…
Dann kam noch dazu, dass KMW und Rheinmetall echt, echt fleißig daran gearbeitet haben, vertraglich vereinbarte Sachen nicht einzubauen. Die CO Detektoren zum Beispiel, die verhindern sollen, dass die Soldat*Innen beim Aussteigen aus dem Fahrzeug eine verminderte Kampf- und Denkfähigkeit haben. Und manchmal haben sie dann auch einfach glatt gelogen, um ihre Gier und Inkompetenz zu vertuschen: Die Arbeitsstättenverordnung der SPD-Arbeitsministerin Andreas Nahles sei zu kompliziert und würde verlangen, dass der Puma für Schwangere geeignet sei. Das hätte halt für Verzögerungen gesorgt. Dass Panzer keine Arbeitsstätten nach der Arbeitsstättenverordnung und Schützenpanzer nicht für Beförderungen von Schwangeren ausgelegt sind, hat leider die meisten Journalisten nicht mehr interessiert als sie ihre Artikel geschrieben haben. Zumindest der konservativen Presse war das recht egal. Aber auch der Spiegel hat sowas geschrieben. Und auch die Story, dass Puma Schützenpanzer stillgelegt wurden, weil die ASU Plakette abgelaufen sei, war schlicht erlogen. Puma und Leopard 2 sind von der Abgasuntersuchung befreit.
Achso: KMW und Rheinmetall haben sich natürlich schon viel Geld bezahlen lassen, diese CO-Detektoren und alles andere, was noch so gefehlt hat, nachzurüsten. Ich glaube, die CO Detektoren speziell waren so 10 Millionen. Jetzt ist der Puma aber so weit auch relativ fertig und gut, ich glaube der Konstruktionsstand S1 macht keine wirklichen Probleme mehr. Funfact: die Briten mit ihrem Ajax-Schützenpanzer haben genau dieselbe Story.
Ich hoffe, ich hab das halbwegs verständlich dargelegt, es ist leider echt viel geworden…
Einen Aktenschrank tief im Keller von irgend ner Behörde kann man nicht so leicht hacken, stehlen, löschen oder manipulieren. Solange nicht alle Archive niedergebrannt werden, kann man jederzeit alles nachverfolgen.
Wobei das an den Prozessen hängt. Versteh mich nicht falsch. Das Beschaffungsamt steht international sicher nicht allein mit seinem Beharren auf Papier (und national schon gar nicht), aber ein vernünftiges Konzept macht digitale Datenablage mindestens so sicher wie Papierablage. Wenn du dann noch vernünftige IT-Strukturen hast und deine Mitarbeiter geschult sind, dann wird das Abbrennen eines Archivs schnell wahrscheinlicher als ein Hack oder ein Systemfehler der Daten vernichtet. Aber das ist kein rein deutsches und kein Beschaffungsamtspezifisches Problem.
Aber danke für den Kommentar an sich. War sehr interessant zu lesen. Auch interessant ist, dass meine Eindrücke von konservativen Ministern auch zumindest bei deiner Stelle in der Behörde selbst so ankommen
Danke dass du dir die Zeit genommen hast das aufzuschreiben. Spannende Stories. Muss frustrierend sein die insides zu kennen und dann die Presse Berichte zu lesen. Gibts denn keine investigativ Journalisten die gerne auch mal die Dummheit der Verteidigungsminister grillen?
Kein Problem, mach ich gerne. Wer meckert nicht gerne über seinen Job :p
Oh doch, gibt genug Journalisten die das alles gründlich recherchieren und aufdecken. Die zitiere ich ja alle, ohne die wäre ich ziemlich aufgeschmissen (kann ja keine internen Sachen weitergeben).
Das Problem ist (geee das hab ich heute oft geschrieben), dass sachliche, differenzierte Artikel weniger Klicks und Geld bringen als Clickbait und Wut. Und nichts ist einfacher, als “dem Staat” und “der Bürokratie” die Schuld zu geben. Da muss man nämlich niemanden genau etwas vorwerfen.
Und damit kann dann auch z.B. ein größeres Nachrichtenportal mit einer gewissen politischen Einstellung Verteidigungsminister*Innen mit einer anderen politischen Einstellung angreifen, schwächen, und evtl sogar aus dem Amt drängen.
Holla, die schweiz ersetzt deren Ziegelstein Funkgerät? Das ding hat fast nie funktioniert und ohne handy war man meistens aufgeschmissen
Ziegelstein Funkgerät?
Du meinst das wunderschöne SE-135? Yeah das Teil war fast genauso “gut” wie das SEM 52 S/SL der Bundeswehr. Sehr klobig und nicht gerade das gelbe vom Ei. Naja, außer man kennt so die kleinen Tricks…
Yap genau das, und Gnade dir Gott hast du den verschlüsseler verlegt
Musstest du dann haufenweise Antibocktee trinken und Bananengas schnüffeln?
Na sbg ska ( suchen bis gefunden sonst kein Ausgang)
handy
Auch liebevoll “SE-079” genannt.
Ohhhh 079 weil das früher die SwissCom Vorwahl war? Damn, die Eidgenossen haben ja richtig Humor wenn man den Dialekt mal versteht.
https://m.youtube.com/watch?v=C8Xv7MKigYo vermutlich eher von dem song
Der Song ist gerade mal 4 Jahre alt, aber SE-079 hat man doch schon viel früher gesagt
EDit Yeah hier wird das Ding 2011 schon als SE-079 bezeichnet, noch lange bevor es den Song überhaupt gab.
https://www.20min.ch/story/schweizer-armee-verbietet-facebook-396574888490
Nö, der Begriff ist älter als der Song. @ProcurementCat@feddit.de hat schon recht.
Sehr interessant. Danke OP
Ich hab mich von den Artikeln zum Stand der Bundeswehr immer nicht so beeindruckt gezeigt. Jetzt werde ich solche Artikel aber nochmal deutlich kritischer beäugen.Mir wird immer klarer dass durch den Eindruck der Kriege die deutschsprachige Bevölkerung sehr leicht in anti Militarismus zu pushen war und das sicher auch von Russland exploited wurde/wird
Ich denke immer, dass doch recht viel an der deutschen Art zu denken scheitert.
Wir haben eine sehr genaue Sprache und so sind eben auch unsere Denkmuster. Das mag uns auf der einen Seite zu guten und gründlichen Ingenieuren machen, auf der andere Seite jedoch auch vielleicht zu übergründlichen Beschaffern bei der Bundeswehr und zu paragraphengeilen Kommunalbeamten, welche die Energiewende entschleunigen.
Manchmal denke ich auch, es liegt an der deutschen Angewohnheit nach der Haftung im Falle von Schäden zu fragen. Dann wird ewig die Haftungsfrage weitergeschoben und man versucht sich durch neue Begutachtungen, Vertragsklauseln und Änderung der geforderten Eigenschaften der ausgeschriebenen Ausrüstung, von einer Verantwortung im Fall der Fälle abzusichern.
Das kostet und dauert dann natürlich.
Ich würde mir manchmal einfach mehr Absprache mit NATO oder zumindest EU wünschen. Die Unterschiede bei Beschaffung von Bekleidung und Schutzausrüstung aber auch Fahrzeugen kann doch einfach nicht sooo groß sein, dass man jedes Mal kleinere Verträge für geringe Mengen aushandelt anstatt große Magen für mehrere Nationen ranholt.
Das mag uns auf der einen Seite zu guten und gründlichen Ingenieuren machen, auf der andere Seite jedoch auch vielleicht zu übergründlichen Beschaffern bei der Bundeswehr und zu paragraphengeilen Kommunalbeamten, welche die Energiewende entschleunigen.
Das glaube ich definitiv nicht. Ein paar schöne Beispiele:
Diese tolle Schlagzeile konnten wir alle im Oktober überall lesen. Ist aber eigentlich nur sensationalistischer Blödsinn. Angeblich haben die Briten auch nur für eine Woche Munition. Oder: Macron selbst werde dadurch gedemütigt, dass die französische Armee in nur drei Tagen keine Munition mehr hätte.
Die Wahrheit ist: Das ist ziemlicher Quatsch. Da haben Leute den Artilleriemunitions-Verbrauch der Ukraine pro Tag genommen und geschaut, wie lange die der NATO zugesagten Munitionsvorräte bei dieser Rate halten würden. Dass die Ukraine einen praktisch reinen Artilleriekrieg oder jegliche Luftunterstützung führen muss, wurde dabei gar nicht berücksichtigt. Die NATO Armeen sind aber komplett auf dem Rücken der Luftwaffen aufgebaut.
Da werden nicht wochenlang irgendwelche russischen Gräben sturmreif geschossen, da kommt erstmal wie bei Desert Storm eine wochen- bis monatelange Luftschlag-Kampagne, bevor irgendwelche Panzer irgendwohin fahren. Dann braucht’s auch nicht so viel Artilleriemunition pro Tag.
-
Noch ein Beispiel: Der britische Ajax-Schützenpanzer. Entwickelt in den 90ern, heute immer noch nicht einsatzbereit. Das Ende der Testing-Phase soll erst so ab 2025 sein. Gegen diese Geschichte ist die Story mit dem Puma ein Witz.
-
Das letzte Beispiel: Die Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs. Okay, für die Klagen und Prozesse von Heckler & Koch und Haenel kann das Beschaffungsamt nichts. Aber dass das Gewehr Ende 2022 grünes Licht bekommen hat aber erst Ende 2026 wirklich eingeführt wird, da muss doch das Beschaffungsamt Schuld sein! …nope. Erstmal muss das Gewehr in geringen Stückzahlen (so 400-500 Stück) für ein Jahr in die Truppe und geschaut werden, ob alles passt oder ob irgendwo der Hersteller noch was nachbessern muss, oder ob die neue Optik vlt. Probleme mit dem Gewehr macht oder so. Danach dauert es dann aber planmäßig immer noch bis 2032, bis die 120.000 Gewehre ankommen. Also 6 Jahre für ein paar Gewehre! Das schafft doch bestimmt nur das Beschaffungsamt mit seinen Goldrandlösungen?
Nope, bei den Franzosen ist das ähnlich: 2016 ist der Auftrag erteilt worden, aber jetzt, 7 Jahre später, ist die Einführung immer noch nicht abgeschlossen. Das liegt daran, dass Heckler & Koch in einem guten Jahr nur so 15.0000 Gewehre liefern kann. Aber hunderttausende Gewehre brauchen dann dementsprechend länger.
Und die Amerikaner haben ja seit fast 40 Jahren versucht, das M16 bzw. M4 abzulösen. Zuerst das “Advanced Combat Rifle” Programm in den 80ern, in welchem zum Beispiel das futuristische H&K G11 oder das ebenfalls sehr futuristische Steyr ACR ins Rennen gingen. Dieses Programm scheiterte. Darauf folgte das “Objective Infantry Combat Weapon” Programm in den 90ern, aus welchem das XM29 OICW hervorging. Weil das Programm auch nicht erfolgreich war, wurde ab 2003 das H&K XM8 erprobt. Ging auch schief. Ab 2007 wurde das FN SCAR getestet, welches extra für die US Spezialkräfte entwickelt wurde. Auch das konnte das M4 nicht ersetzen. Erst jetzt, eine Ewigkeit nachdem M16 bzw. M4 eingeführt wurden, kriegen die USA mit dem SIG MCX Spear ihren M4-Nachfolger, das M7.
Für solche Sachen kann keines der Beschaffungsämter was. Militärische Beschaffung ist kompliziert, dauert lange, und das was gekauft werden soll ist gar nicht so leicht herzustellen. Das ist kein Amazon wo man fertige Produkte einfach kaufen kann, da müssen Jahre an Entwicklungszeit reingebuttert werden.
Danke für deinen Einsatz in den Kommentaren🫡
Aber im Ernst: Ich habe viel durch deinen Post gelernt!
Trotzdem denke ich, dass Deutschland oft eine ganz eigene Art hat Prozesse zu planen und diese sind in vielen Bereichen unseres Zusammenlebens leider hinderlich. Ich grüble schon lange darüber nach, ob unsere Sprache nicht der Grund dafür sein kann. Die Muttersprache meiner Frau ist spanisch und dort kann ohne Kontext oft keine definitive Aussage erkannt werden. Diese offene Sprache und Denkweise kollidiert oft mit meiner Art. Obwohl ich sonst sehr locker bin, sage ich Dinge 100% wie sie sind und verstehe sie auch so. Meine Analyse und Problembehandlung erfolgt dann in den gleichen Mustern. Aber ich glaube das ist ein Thema für einen ganz anderen Post und führt jetzt zu weit!
Trotzdem nochmal aus Interesse:
Hast du die Videos von “Perun” über das Thema “Procurement” gesehen?
Falls du ihn nicht kennst, lohnt es sich reinzuschauen. Die Videos sind Recht gut recherchiert und anschaulich dargestellt.
-